Freitag, 11. März 2011

Essener oder keine Essener: das ist in Qumran die Frage!

Essenerkloster mit riesiger Schreibwerkstatt und Bibliothek oder fortifikatorisch ausgebaute landwirtschaftliche Siedlung mit verschiedenen Zweigstellen am Toten Meer, was ist denn Qumran nun? Darüber streiten sich die Gelehrten. Nahm die ältere Forschung noch an, in Qumran sei die strenge Essenersekte ihrem Reinigungskult nachgegangen, so scheint diese These heute überholt. Alles begann 1947, als Beduinen in einer Höhle in der Nähe von Qumran Schriftrollen fanden, die für die gesamte Bibelwissenschaft von größter Bedeutung sein sollten. Bis 1956 wurden in 10 weiteren Höhlen über 10.000 Handschriftenfragmente und über 800 Schriftrollen gefunden. Darunter eben auch die ältesten bekannten Handschriften biblischer Texte.
Höhle 11
im Innern der Höhle wurden Handschriften gefunden
ein Aquädukt bringt Frischwasser aus den judäischen Bergen nach Qumran
Kleinviehstall
das sogenannte "Refektorium", der Speise- und Aufenthaltsraum; die Parkverwaltung in Qumran hält trotz aller neueren Forschung daran fest, dass Essenerleben möglichst anschaulich darzustellen
Höhle 4 vor beeindruckender Kulisse
über einem Mergelplateau liegend wurden in ihr zahlreiche Schriftrollen gefunden
Blick auf das Tote Meer von Qumran aus
ein Ofen, vielleicht auch zur Keramikherstellung
selbsterklärend;-)
für die Essenerhypothese wird dieser Raum als Bibliothek gedeutet
passenderweiße findet sich gleich nebenan ein großer Raum, der als Schreibstube gedient haben soll
auch zur Essenerthese passen die zahlreichen Mikwen (Ritualbäder), die sich in Qumran finden lassen
Die Essener sollen also in Qumran die Schriftrollen hergestellt und vor der römischen Besatzungsmacht versteckt haben, die knapp 2000 Jahre später in den Höhlen um die Siedlung wiederentdeckt wurden. Mittlerweile sieht man in Qumran aber nicht mehr das von kultischer Reinheit geprägte Essenerkloster, sondern eher eine landwirtschaftliche Zentralgarnison, die verschiedene Zweigstellen am Toten Meer unterhielt. Eine davon soll Ein Feshka gewesen sein. Dort zeigt sich heute, dass das Tote Meer zumindest an seinem Ufer gar nicht so tot ist.
im Uferbewuchs nisten Vögel
das Schilf nützt das letzte Süßwasser aus, bevor die salzige Brühe des Toten Meeres kommt
keine Anzeichen von Wüste
das Ufer des Toten Meeres, dessen Wasserpegel immer weiter sinkt
Mit diesen zahlreichen Bildern wünsche ich euch einen guten Start ins Wochenende und grüße euch aus Jerusalem, Joachim!

2 Kommentare:

  1. Die Essenerthese ist nicht so überholt, wie immer behauptet. Siedlung und Textfunde erklären sich doch recht gut. Die Thesen von Hirschfeld und Kollegen sind sehr fragwürdig. Die beste Antwort darauf findet sich bei Jodi Magness (The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids: Eerdmans, 2002). Wenn Qumran keine Siedlung der Essener ist, dann muessen die Rollen aus ??? (Jerusalem) kommen. Als einer der Gründe wird immer behauptet, dass in der Siedlung keine Schriftrollen gefunden wurden. Als ich 1998 mit Prof. James Charlesworth in Jerusalem war, hatte er für Aufnahmen vom ZDF einen der letzten lebenden Beduinen interviewt, die unter de Vaux gegraben haben. Er erzählte, dass bei den Grabungen Schriftrollenfragmente sehr wohl gefunden wurden. Diese hätten aber die Beduinen sofort verschwinden lassen, um sie später für gutes Geld zu verkaufen. Ostraka sind ja auch etliche gefunden wurden, deren Schrift denen der Qumranrollen oft ähneln. Auch wenn die Vertreter der neuen Thesen (obwohl diese gar nicht neu sind, denn schon Karl-Heinrich Rengstorf hat diese in ähnlicher Weise vertreten [Hirbet Qumran und die Bibliothek vom Toten Meer. Brill, Leiden 1960]) die Essener-Theorie für überholt erklären, sprechen die meisten Argumente immer noch dafür. Rainer Riesner hat die Pro- & Kontraargumente in seinem völlig neu bearbeiteten Werk "Verschwörung um Qumran – Jesus, die Schriftrollen und der Vatikan“ (Knaur 2007) noch einmal kritisch untersucht und negiert die neuen Theorien, ebenso wie der bekannte Qumranvetran Prof. Claus-Hunno Hunzinger, der als einziger deutscher Forscher zum Team von de Vaux in den 50'er Jahren gehörte. Die Beschriftungen in Qumran sind daher eine sehr gute Darstellung der archäologischen Begebenheiten. Lediglich das Bild mit der "Latrine" wird falsch sein. Es scheint eher eine Reinigungsstelle zu sein. Ihr 1. Bild zeigt nicht Höhle 11 sondern links davon die "Cave of Columns". 11Q liegt weiter rechts (ausserhalb Ihres Bildes).
    Alexander Schick
    www.bibelausstellung.de

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Natürlich ist mir bewusst, dass hinter beiden Theorien dicke Fragezeichen stehen. Für die übersichtliche Darstellung innerhalb meiner Blogberichterstattung über meinen Studienaufenthalt im Heiligen Land habe ich mich gedrängt gefühlt, eine These auszuwählen, um meine nicht in die bibelwissenschaftliche Diskussion vertiefte Leserschaft nicht zu verwirren. Vielen Dank, dass Sie auch die andere Seite der Medaille kurz vorgestellt haben.
    Viele Grüße aus Jerusalem nach Sylt!

    AntwortenLöschen